Zu viel Spekulation, zu viel Volatilität. Und nach wie vor – kein erkennbarer Nutzen. So lautet die oft vorherrschende Meinung über den Krypto-Sektor aus den Reihen des traditionellen Finanzwesens. Das Label des “Wilden Westens” haftet am Blockchain-Space und dessen Skandalschlagzeilen hallen lauter, als News zur Adoption. Umso erstaunlicher ist es, dass ausgerechnet die Federal Reserve (Fed), die Notenbank der USA, jüngst in einem akademischen Papier auf einen der bedeutendsten Krypto-Anwendungsfälle eingeht: die Tokenisierung.
In der Veröffentlichung “Tokenisierung: Überblick und Implikationen für die Finanzstabilität” beleuchtet der Verwaltungsrat der Fed Vor- und Nachteile dieser Krypto-Technologie und ordnet den aufkommenden Trend der Real-World-Assets (RWA) ein. Das Stück ist dabei nicht nur gespickt mit bekannten Bedenken, sondern erfrischender Weise auch mit anerkannten Vorteilen hinsichtlich der Krypto-Adoption.
Tokenisierung: Wachstum offenbart sich
Wer hätte gedacht, in einem Diskussionspapier der US-Notenbank die Wörter “DeFi-Llama” zu lesen? Ja, auch die Federal-Reserve kommt nicht umhin, für die Recherche im dezentralen Finanzwesen auf die beliebte, Open-Source-Website zurückzugreifen. So vermerken die obersten Währungshüter, dass obwohl das Total-Value-Locked (TVL) des DeFi-Sektors seit Juni 2022 gleich geblieben ist, der Real-World-Asset-Sektor stetig wächst. Stand Mai 2023 belaufe sich der Wert aller RWAs auf allen “erlaubnisfreien” Blockchains auf 2,15 Milliarden US-Dollar. Dazu zählen eine Reihe zentralisierter und dezentraler Protokolle wie Paxos Trust oder Centrifuge.

Demnach spannend zu beobachten: Die Fed fokussiert sich inzwischen nicht mehr ausschließlich auf relativierte Abwandlungen der Krypto-Vision durch traditionelle Player. Statt privaten Blockchains, oft von Banken unter dem Deckmantel der “Distributed Ledger Technology” genutzt, rücken nun “erlaubnisfreie Blockchains” in den Fokus. So finden Bitcoin, Ethereum und sogar Solana Erwähnung im Papier der Währungshüter. Als Beispiele der Tokenisierung von echten Vermögenswerten nennt die Fed, Stablecoins, Gold-Token, aber auch die Tokenisierung von Immobilien und Wertpapieren. Diese hätten im Vergleich zu ihren echten Gegenspielern entscheidende Vorteile. Aber auch Bedenken hinsichtlich der “Finanzstabilität”.
Programmierbar, liquide und zugänglich
Selbst die vermeintlich größten Skeptiker eines alternativen Finanzwesens erkennen offenbar den Wert in den Grundeigenschaften von Krypto-Assets. Die Tokenisierung gebe “Investoren Zugang zu Märkten, die ansonsten unerreichbar und kostspielig” wären, so die Fed-Mitarbeiter. Zudem biete die “Programmierbarkeit von Krypto-Token die Möglichkeit, zusätzliche Features zu implementieren”, die traditionellen Werten Vorteile verschaffen könnten. Das Ergebnis seien “wettbewerbsfähige und liquidere Märkte” und “eine bessere Preisbildung”.
Als Vergleich zieht die US-Notenbank ETFs heran, die der Tokenisierung am ähnlichsten seien. Die Tokenisierung habe hinsichtlich der Demokratisierung der Märkte offenbar ähnliches Potenzial. Auch andere Funktionen scheinen die Währungshüter zu überzeugen. Darunter die Möglichkeit, tokenisierte Rohstoffe als Sicherheit für bestimmte Kredite verwenden zu können. Außerdem sei die schnellere Abwicklung von Transaktionen zu jeder Tageszeit den Abwicklungen durch eigene Systeme überlegen. Ganz ohne Skepsis blieben die Autoren jedoch nicht.
Wackelige Stablecoins und Bank-Runs
Eines der größten Sorgenkinder sei demnach die “Stress-Transmission”. Sofern die Tokenisierung größere Maßstäbe annehme, könnten Krisen in der Blockchain-Welt für Schwierigkeiten im physischen Finanzsektor sorgen. Da der Krypto-Sektor “24/7” operiert, könnte der Austausch mit dem traditionellen Markt, bei dem strikte Öffnungszeiten gelten, verkompliziert werden. So könnte beispielsweise die nicht-sofortige Einlösbarkeit der digitalen Werte an einem Wochenende für einen starken Abverkauf der Vermögenswerte sorgen. Sogar die Solvenz des Herausgebers wäre dann gefährdet.
Stichwort Herausgeber: Große Bedenken sieht die Fed auch hinsichtlich der Transparenz und Vertrauenswürdigkeit. In diesem Zusammenhang nannte die Notenbank Tether. Gäbe es Zweifel an der Deckung der Krypto-Assets, so würde dies zu einem Bank-Run führen, so die Fed. Große Verluste im zugrundeliegenden Vermögenswert, bis hin zu systemischen Risiken, seien denkbar. Zu guter Letzt habe die große Finanzkrise 2008 gezeigt, welche Gefahr von Derivaten ausgehe, die wiederum auf Derivaten beruhen. Die Tokenisierung von bereits tokenisierten Assets könne grundlegende Risiken verbergen und in ähnlicher Weise zu Kettenreaktionen führen.