Thorsten (38, Name geändert) hat 2017 über Nacht mehrere zehntausend Euro mit dem XVG Privacy Coin verdient – auf dem Papier. Weil er zu lange auf die “Community” hörte, hat er fast alles verloren. Im Interview erklärt er, warum er trotzdem wieder in Krypto eingestiegen ist und welche Erfahrungen er mit den Kryptobrokern Binance, Bittrex, Bitfinex und Coinbase gesammelt hat.
Wie bist du erstmals mit Krypto in Kontakt gekommen?
Durch meinen südkoreanischen Klavierlehrer kam ich 2017 erstmals mit Krypto in Kontakt. Er erzählte mir, dass bei Krypto die Gewinne nicht in Prozent, sondern in X, also in Vielfachen, angegeben werden. Damals ging der erste Bullrun los, davor hatten nur Freaks investiert. Er hatte Verbindungen zu Profi-Tradern nach Südkorea, von dort kamen die Tipps. In der wöchentlichen Stunde beim Unterricht hat er dann erzählt, welche Coins jetzt gerade Potenzial haben zu steigen. Und das ist dann tatsächlich ziemlich oft so eingetreten. Er hatte damals schon einen Haufen Geld gemacht und natürlich wollte ich dann mitmachen und dabei sein.
Mit welchem Coin hast du dann gestartet?
Verge (XVG). Das war der erste Coin überhaupt, in den ich rein bin. Der hatte damals schon einen unfassbaren Pump hingelegt: von 0,0002 auf 0,007, also das 35-fache. An dem Punkt habe ich dann gekauft, gleich vierstellig, und es ging in wenigen Wochen nochmal um das über 30-fache weiter rauf. Jeden Morgen war irgendwie unfassbar viel mehr Geld auf dem Trading-Konto.
Wie hat sich die Kursexplosion angefühlt?
Es hat sich extrem surreal angefühlt. Nachdem man vorher mit Investments konfrontiert war, die im Jahr vielleicht maximal 7 bis 8 Prozent abgeworfen haben. Jetzt wurden aus 3000 € über Nacht plötzlich 10.000 €. Eine Nacht später standen dann 20.000 € da. Und da war nicht nur Freude dran, dass das plötzlich so ansteigt. Das war tatsächlich eine ziemliche emotionale Überforderung. Ich saß einfach sprachlos davor.
Der Kurs ging dann ziemlich schnell wieder auf Talfahrt, was hast du gemacht?
Nichts. Ich habe alles wieder verloren und noch mehr.
Warum hast du nicht verkauft?
Das lässt sich ehrlich gesagt mit keiner Rationalität dieser Welt erklären. Die Entwickler des Coins und die Community drumherum waren aktiv auf sozialen Plattformen: Als der Coin bei 0,28 € oder 0,29 € ankam, waren sich alle sicher, dass er bei 0,50 € endet. Ich habe mich diesem Glauben angeschlossen und mir gesagt, bei 0,50 € verkaufst du dann alles.
Und dann fiel der Kurs wie ein Stein …
Ja, aber der Glaube war so hoch, dass die ganze Community am Ende recht haben wird – wenn man noch ein bisschen länger wartet. Es geht ein bisschen runter und danach kommt der echte Break. Aber am Ende ging es einfach nur runter. Es war ein klassischer Pump and Dump.
Was hast du am Ende mit dem Coin gemacht?
Ich habe das Ding tatsächlich noch ein paar Jahre behalten. Irgendwann hab ich dann auch aufgehört zu gucken. Und dann kam tatsächlich wieder mal so ein kleiner Anstieg und ich habe den Coin dann nahezu ohne Verluste abgestoßen.
Hattest du dich vorher mit dem Coin beschäftigt? Oder war es reine Spekulation?
Beides. Ich finde nicht, dass sich das ausschließt … Ich hatte das schon zu Ende recherchiert. Die Privatsphäre, die man mit diesem Coin hat, hat mich fasziniert. Das Team, das dahinter stand, war vielleicht nicht ganz einwandfrei. Die hatten ein paar Entwickler, denen nachgesagt wurde, sie seien ein bisschen “fishy”. Aber der Coin hat sich trotzdem in der Masse irgendwie durchgesetzt – ist letztendlich bis auf Platz 8 vorgesprungen auf dem Ranking der Marktkapitalisierung.
Und trotzdem war es pure Spekulation? Reine Gier?
Ja, doch. Also, es gibt den Coin immer noch. Die Erfinder sind keine Kriminellen, sie haben diese Technologie entwickelt. Und dass der Coin in kurzer Zeit um das 1000-fache steigt, dass das nicht nachhaltig sein kann, war mir auch irgendwie klar. Es gibt Coins die kommen, die haben irgendeine Funktionalität, wo jeder denkt, juhu und ein Jahr später denken die gleichen Leute, den Schrott brauchen wir nicht mehr. Genauso ist das mit diesen Privacy Coins – es gibt heute über 100 davon. Das gilt ja auch außerhalb von Krypto für Technologie allgemein, Myspace und StudiVZ waren auch mal groß.
Mit welchen Kryptobrokern hast du damals gehandelt?
Die Altcoins und auch den Privacy Coin habe ich 2017 mit Bittrex und Bitfinex gekauft. Coinbase habe ich damals dafür genutzt, Bitcoin und Ethereum zu kaufen, um diese dann auf den anderen Börsen in Coins umzutauschen, die es auf Coinbase nicht gab.
Warum hast du dich für Bittrex und Bitfinex entschieden? Auch wegen des Klavierlehrers?
Haha, ja genau, tatsächlich. Aber vor allem auch, weil du dort Trades mit bestimmten Preiszielen einstellen kannst. Limit-Orders, die automatisch ausgeführt werden. Vor kurzem habe ich erfahren, das gibt’s jetzt auch alles bei Coinbase, im Advanced-Modus, aber es ist für mich nicht mehr so relevant; ich bin zum Hodler geworden und halte die meisten Kryptos erstmal ohne festes Endziel.
Und warum Coinbase für Bitcoin und Ether?
Weil man dort mit Euro zahlen konnte, also Fiatgeld herein- und herausbringen kann. Ich weiß gar nicht, ob es noch andere Börsen gab, die das angeboten haben. Und die Einfachheit und die Übersichtlichkeit der Plattform finde ich nach wie vor unübertroffen. Klar, die Gebühren sind da, die sind höher als woanders. Aber dafür bekommt man alles halt auch super gut aufbereitet.
Viele Broker haben geringere Gebühren, Kraken zum Beispiel …
Ja und Binance, das habe ich auch mal gemacht. Ich finde die Oberfläche grausig. Also für mich nahezu unbedienbar. Heute nutze ich nur noch Coinbase. Auch wegen des Sicherheitsthemas.
Über FTX wurde auch behauptet, sie seien 100 % sicher. Dann der Crash, weil sie teilweise über Hedgefonds mit Kundenanlagen weiter gehandelt haben. Für wie sicher hältst du deine Kryptos bei Coinbase?
Coinbase hat das Vertrauen und die Reputation dank der Lizenz von der deutschen Finanzaufsicht. Regelmäßige Kontrollen und Berichte. Auch, dass Coinbase der Verwahrer ist für die ETFs von Blackrock und so weiter. Also ich denke, auch aufgrund dessen, was ich in den Fachmedien lese, gibt es keine Börse, die vertrauenswürdiger ist als Coinbase. Und das scheint auch der allgemeine Konsens der Leute aus der Branche zu sein.
Zurück zu deiner Achterbahnfahrt mit XVG: Hattest du nicht genug von Krypto danach?
Als es dann abwärts ging mit den Kursen, begann ich, große Coins zu kaufen wie Bitcoin. Ich hab zum Glück nicht das Allzeithoch gekauft, sondern irgendwo mittendrin angefangen. Und dann ging der Krypto-Winter los und ich habe mich, wie gesagt, tatsächlich 2 oder 3 Jahre gar nicht mehr interessiert.
Warum?
Na ja, ich hatte vorher diesen emotionalen Run und plötzlich war das ganze Thema einfach tot und die Preise haben das damals widergespiegelt. Ich dachte, meine ganzen Investments sind jetzt weg, ich lasse die einfach liegen. Mit Verlust zu verkaufen, kam für mich nicht infrage. Und das hat dann tatsächlich fast wieder bis zum nächsten Bull Run 2021 gebraucht.
Und dann hast du dich plötzlich wieder für Krypto interessiert?
Das geht ja immer so einher, wenn die Stimmung in der Community dreht und die Presse plötzlich wieder gut über Krypto schreibt, ist auf einmal wieder alles möglich. Und ja, dann habe ich mich auch wieder mehr und mehr dafür interessiert und wieder angefangen weiter zu investieren.
Und bist du heute immer noch von Stimmungen getrieben bei Krypto?
Nein, aber es hat auch lange genug gedauert, diese Achterbahn aus Gier und Angst zu überwinden. Nach dem letzten Bullrun habe ich es zum ersten Mal geschafft, antizyklisch zu investieren und habe Bitcoin bei 15.000 Euro gekauft Ende 2022. Seitdem hat der Kurs bekanntlich über 100 % zugelegt.
Wie kann man gegen das Gier- und Angst-Karussell ankommen? Wie kann man sich dazu bringen, wenn niemand anderes Lust auf Krypto hat, sein Portfolio aufzumachen und zu kaufen?
Erfahrung. Man muss meiner Meinung nach diesen ganzen Scheiß, diese riesigen Fehler, einmal selbst mitmachen. Oder vielleicht sogar mehrmals. Und vielleicht auch das Alter. In jüngeren Jahren ist man von Natur aus emotionaler.
Was empfiehlst du enttäuschten Krypto-Anlegern, die noch nicht zurückgefunden haben?
Sich inhaltlich mit Krypto zu beschäftigen. Bildung. Früher war das ein reines Investment und heute denke ich, dass Bitcoin auch in der Realwirtschaft ein riesiges Thema weltweit werden wird.
Deine letzten Worte zu deiner Kryptoreise?
Warren Buffett sagte: “Sei gierig, wenn andere ängstlich sind, und ängstlich, wenn andere gierig sind.” Dass dann, wenn jeder sagt, Bitcoin ist tot, dass man genau dann investieren sollte. Und das habe ich mir zu Herzen genommen. Plus, den Langzeit-Hodlern zuzuhören.